Vermutlich wurde keine Dissertation so oft und beinahe sensationssüchtig von den Medien und dem Volk geprüft wie die von nicht-mehr-Dr. K. T. zu Guttenberg. Der Großteil dürfte gar nicht wissen, was in einer Doktorarbeit erlaubt ist und was nicht; zumal sich das fachspezifisch stark unterscheiden kann. Der Grundtenor in den Medien ist einheitlich: der Freiherr hat mehrere Zitate nicht ordnungsgemäß gekennzeichnet.
Eigentlich läuft die Aufklärung der Vorwürfe vorbildlich, man hört – abgesehen von nennensunwerten Politik-Vertretern – nicht einmal viele Schreie nach Rücktritt. Doch etwas stimmt nicht. Die Erklärung von zu Guttenberg letzten Freitag war natürlich äußerst unglücklich. Allerdings stellt sich auch niemand die Frage: was hätte er stattdessen sagen sollen?
Er selbst, und auch Frau Merkel, räumten ein: „Die Dissertation zweifelsohne hat Fehler“ (sinngemäß wiedergegeben). Hübsche Beispiele dieser „Fehler“ wurden im SPIEGEL und auch sonst hinreichend benannt. Selten war das Wort „Fehler“ beschönigend wirksam, doch in diesem Fall ist der Begriff sehr glücklich in den Mund des Betreffenden geraten. Natürlich, Fehler! Das ist schließlich menschlich; sogar Albert Einstein hat Fehler gemacht, also wird der Herr zu Guttenberg in seiner Dissertation sich doch auch ein wenig – oder auch mehr – Menschlichkeit erlauben dürfen. Wie gesagt, „Fehler“ ist sehr beschönigend. Die unterhaltsame Seite GuttenPlag listet mittlerweile alle gefundenen Plagiate seiner Dissertation auf und man höre und staune, es wurden bereits 270 gefunden (was bedeutet, dass auf 68% der Seiten etwas zu finden ist). Das ist schon allerhand, aber wer neben seinem Beruf und Kleinfamilie (sollte man Mitleid haben?) 7 Jahre lang an einer Arbeit doktort, dem entgleiten schonmal ein paar Quellen. Aber 270? Selbst wenn nur 27 davon wirkliche Plagiate wären, kann man schlichtweg nicht von „Fehler“ sprechen, Der Begriff Fehler hat etwas Versehentliches, was sich nicht wie ein roter Faden durch eine Arbeit ziehen darf. Nein, worum es sich handelt, ist kein unabsichtlicher „Fehler“, sondern arglistige Täuschung. Eine absolut bewusste Täuschung des Doktorvaters, wenn man diesem optimistisch Objektivität unterstellt. Der Juraprofessor aus Bremen, der die Plagiate fand jedenfalls bezeichnete den wissenschaftlichen Gehalt der Arbeit als keineswegs eines summa cum laude würdig.
Arglistige Täuschung klingt auch schon ganz anders als Fehler. Ein wissenschaftlicher Fehler braucht den Politiker kaum zu kümmern, schließlich muss er in der Politik nicht wissenschaftlich arbeiten, er muss nur gute Politik machen. Eine arglistige Täuschung dagegen kann berufsübergreifend, und völlig zu Recht, den Ruf beschädigen. Es kann doch niemand ernsthaft geglaubt haben, zu Guttenberg wüsste einfach nicht, wie man wissenschaftlich arbeitet. Doch leider wird man vergeblich auf eine Stellungnahme hoffen dürfen, mit dem der Kern dieser Täuschung deutlich wird.
Es gibt noch weitere Fragen, die man sich stellen könnte:
1. Wozu braucht ein zu Guttenberg einen Doktortitel, den er in „mühevollster Kleinstarbeit“ nachts erarbeitet haben will? Ein wissenschaftliches Interesse kann schlecht geheuchelt werden. – Vermutlich aus Prestigegründen. Welcher Spitzenpolitiker verfügt nicht über die Doktorwürde? Es sind wenige. Scheint demnach zum guten Ton zu gehören, und das ruft einen zu Guttenberg auf den Plan. Ein Doktortitel muss her, ob man ihn braucht oder nicht. Ob man die nötige Zeit dafür (es gibt Menschen die arbeiten jahrelang ausschließlich an der Dissertation!) hat oder nicht.
2. Warum besteht in der Gesellschaft ein derart starkes Interesse an den Plagiaten? Schätzungsweise weil das ausnahmsweise mal ein Sachverhalt ist, bei dem jeder mitreden kann. Die Dissertation ist veröffentlicht, da kann nichts verheimlicht werden. Jeder Bürger kann auf Schatz=Plagiatssuche gehen. Dank Internet heutzutage anscheinend äußerst erfolgreich.
3. Wieviele Plagiate in einer Dissertation in Jura sind normal? Wurden andere Dissertation derart intensiv geprüft? Wohl kaum. Vielleicht sollte man stichprobenartig auch andere Werke untersuchen; vielleicht nur um zu zeigen, dass es sich eben NICHT um versehentliche Fehler handelt.
4. Sollte zu Guttenberg unter der Vorrausetzung, dass die bisher gefundenen Plagiate stimmen, seinen Doktortitel abgeben, gar zurücktreten? – Eines ist klar. Der Doktortitel muss in diesem Falle entzogen werden. Andernfalls werden sich Generationen auf die zu Guttenbergsche Tradition berufen, sollte ihnen etwas Ähnliches drohen. Weiterhin lernt man im ersten Semester des Studiums, dass ein Täuschungsversuch in Form eines Plagiats weitgehende Folgen hat: nämlich für den Studenten. Im Normalfall droht diesem die Zwangsexmatrikulation. Adé Studium. Aus welchem Grunde sollte dieser Maßstab bei einer Dissertation nicht angelegt werden? – Aber muss zu Guttenberg zurücktreten? Eine schwierige Frage, denn sie offenbart eine neue Seite des ansonsten so schnieken Verteidigungsministers. Ändert das Verhalten bei der Anfertigung der Dissertation etwas an den politischen Qualitäten? Sicherlich. Niemand dürfte glauben, dass ein zu Guttenberg nur wenn es um die Wissenschaft geht, es nicht so genau nimmt. Sollten die Vorwürfe sich bestätigen, dann zeigt dies einen ganzen Charakterzug, der sich zwangsläufig auf die Politik auswirken muss.
Fazit: Man darf auf das Urteil aus Bayreuth gespannt sein. Man muss davon ausgehen, dass viele Plagiate, wenn auch vielleicht nicht alle, sich wirklich identifizieren lassen. Schlimmere Gedanken (Stichwort: Ghostwriter) sollte man sich direkt verkneifen. Die nächsten Wochen werden also äußerst unterhaltsam.
Persönlicher Tipp: Die Uni. Bayreuth wird dem Druck der Tatsachen nicht viel entgegenzusetzen haben, den Doktortitel aberkennen, zu Guttenberg wird sich in die Schamecke, aber direkt vor’s Mikro stellen und sich entschuldigen für die ganzen Fehler. Ihm wird unerklärlich sein, wie dies passieren konnte. Alternativlos wird er die Schuld auf sich nehmen und sein Amt nicht niederlegen – das sei schließlich etwas anderes. Menschen kleben nunmal an der Macht. Eine Woche später wird er doch zurücktreten, weil der Druck der Öffentlichkeit zu sehr auf ihm lastet. Die SPD wird wieder etwas populistisches dazu sagen; schließlich wäre soetwas in der eigenen Partei unvorstellbar.